Es war definitv nicht Peter Fonda oder die Musik von Steppenwolf, die mich auf die Strasse zog. Die meisten Kumpel sahen in den Mofas oder Fuffzigern nur Sprungbretter zum ersten eigenen Auto.
Das kam für mich damals überhaupt nicht in Frage. Diese unmittelbare Nähe zur Technik, die spürbare Beschleunigung und das Eintauchen in die Kurven, das Erleben der Strasse, der Wechsel von Gerüchen und Temperaturen auf einsamen Landstrassen zwischen Feldern und Wäldern, das alles hatte mich seit meinem ersten Erfahrungen auf verschiedenen „Fuffzigern“ infiziert.
Falls es überhaupt eine Initialzündung gab, dann war es das Angebot eines Nachbarjungen, einmal mit seiner Zündapp zu fahren. Ich war noch keine 15 Jahre alt und daher war das schon eine sehr gewagte Aktion… aus damaliger Sicht.
Ich hatte die Mofa-Jungs immer beobachtet, wie sie – ganz cool – ihr Fahrzeug kurz anschoben und sich dann locker auf den Sattel schwangen. Bloß hatte mir keiner erklärt, dass man beim Anschieben den Gasgriff kontrollieren sollte und nicht weiter Gas geben muss.
Das Bild, das ich an jenem Tag auf dem Fußweg des Lokstedter Steindamms abgab, muß köstlich gewesen sein: das Mofa sprang an, fuhr los und ich lief nebenher. Anstatt aber Gas wegzunehmen, hielt ich den Griff fest und rannte und rannte und rannte.
Schließlich ließ ich den Gasgriff los, die Maschine verlangsamte sofort und mir gelang es gerade noch, das Mofa aufzufangen…
Das war es dann auch mit meiner Fahrt, der stolze Besitzer kam kreidebleich hinterher gelaufen und nahm sein Angebot sofort zurück…
Das nächste Fahrzeug war dann ein 50er Mokick, natürlich auch von Zündapp. Auf diesem heißen Ofen war ich jedoch nur Sozius, ich hatte noch keinen Führerschein Klasse 5! Den hatte aber mein Klassenkamerad Peter und so „heizten“ wir häufig über die B432.
Als ich dann endlich den Schein (Klasse 4!) und das Geld zusammen hatte, fiel die Wahl für mein erstes Zweirad nicht schwer. Nach den ersten Erfahrungen musste es natürlich auch eine Zündapp sein und so stand dann 1976 endlich eine KS 50 Watercooled vor der Tür. Für eine kurze Zeit das beste Bike der Welt. Als ich mich Jahre später wieder einmal in den Sattel eine Zündapp schwang, da fiel mir erst richtig auf, wie klein das Gerät war…
Kurz nach meinem 18.Geburtstag gab ich dieses Prachtstück dann bei einem BMW-Händler in Zahlung. Ich war dem Boxer-Virus rettungslos verfallen. Diese R75/7 trug mich dann zum ersten Mal über den Brenner nach Italien, schoß mit mir auch einmal über das Ziel hinaus (es gibt da so eine Kurve bei Deggendorf) und beendete ihr Dasein in einer Nacht im April 1978 in einem Straßengraben an der B432.
Ich lag auf der anderen Seite der Straße im Graben und nur ein glücklicher Zufall in Gestalt eines zufällig vorbeifahrenden Rettungswagens bewahrte mich vor Schlimmeren.
Ich war in dieser Nacht mit vollem Fernlicht (nicht ganz TÜV-konform mit drei Scheinwerfern) auf dem Weg nach Hamburg. Eine Autofahrerin hielt mich trotz dieser Landescheinwerfer für ein Mofa (!) und so wachte ich zwei Tage später auf der Intensivstation im (damaligen) Heidbergkrankenhaus wieder auf.
Bereits im Krankenhaus abonnierte ich mir eine Motorradzeitschrift. Das Entsetzen meiner Eltern kann ich heute, wo ich selber Vater bin, sehr gut verstehen.
Nach kurzer Autopause kam dann die treueste Begleiterin ins Haus… und eine neue BMW. Wir drei machten in den folgenden zehn Jahren Europa unsicher.
Von Südfrankreich bis nach Jugoslawien, im Frühjahr zum legendären Contitreffen, zum Motorrad Grand Prix an den Hockenheimring, über Pfingsten nach Dänemark und nicht zuletzt ein paar Mal nach Assen… es kamen so einige Kilometer zusammen.
Aber allmählich änderte sich das Leben, die Familienplanung war eindeutig wichtiger als die Routenplanung. Ich fand kaum noch Zeit zu fahren und wenn, dann war ich aus der alten Clique auch fast der letzte, der noch eine Maschine besaß. 1991 fiel deshalb die Entscheidung für den Verkauf der Gummikuh!
Hin und wieder schließen sich im Leben Kreise. In einer solchen Situation kommt es dann zu einem Deja Vu-Erlebnis.
2004 waren wir zu Besuch bei einem alten Klassenkameraden (s.o.) und dort stand eine BMW R80R ungenutzt in der Garage. „Nun fahr doch mal eine Runde“ wurde ich mehrfach aufgefordert.
Ach nein, ich bin durch damit, ich will wirklich nicht…
Aber als guter Gast habe ich mich doch breitschlagen lassen. Dann saß ich auf der Gummikuh, der Motor sprang an… und ich war wieder zuhause! Vor Jahren gab es einmal diese Mercedes Werbung mit dem Mann, der in einem exotischen Land am Flughafen in einen Mercedes-Mietwagen einsteigt… „Endlich zuhause“ oder so ähnlich … und ganz genauso ging es mir. Es war alles wieder da. Das Gefühl, die Geräusche, die Schaltung etc etc etc.
Eine Stunde später hatte ich die Maschine per Handschlag gekauft und habe diese Entscheidung bis heute nicht bereut!
Eigentlich (ja: eigentlich!) wollte ich „nie tauschen“. So fest hatte mich der BMW-Boxer-Virus im Griff… dachte ich. Aber dann geht das Leben seine eigenen Wege und plötzlich stand ich 2013 vor einer Entscheidung: zwanzig gegen vier Jahre, 50 gegen 100 PS, 44000 gegen 25000 Km und meine „Engstirnigkeit“ gegen das Andenken an meinen Bruder.
Also habe ich meine „Engstirnigkeit“ eingetauscht und fahre jetzt Honda, eine XL 1000V Varadero.