Es ist 20:30 Uhr, ich sitze im mitten in einem Gewerbegebiet in Andújar im Restaurant „La Abuela“ und so allmählich kehren die Lebensgeister zurück. Im Fernsehen laufen Bilder vom Motorrad-GP in Silverstone. Obwohl es ein Regenrennen ist, haben die Jungs es gut. „Fahren immer nur im Kreis und brauchen kein Navi!“ denke ich. Und damit ist der Tag eigentlich beschrieben, oder vielleicht doch nicht ganz.
In dem wirklich guten und preiswerten Hostal von gestern, war das Frühstück etwas gewöhnungsbedürftig. Getoastetes Brot mit Tomate (tostada de pan con tomate) plus Kaffe (der war perfekt!). Da die anderen Gäste aber alle das Gleiche erhielten, probierte ich es erst einmal und man konnte es essen.
Danach Motorrad beladen und ab ging die Post. Von Teruel machte ich mich über die N330 auf den Weg nach Süden und das Crocodile wollte wohl zunächst etwas gut machen. Eine richtig tolle Straße. In einem Tal mit rotem Felsgestein schlängelte sich die schmale Straße immer entlang eines Flusses und die Bäume spendeten lange Zeit Schatten. Perfekt!
Später änderte sich der Charakter der N330, sie mutierte zu einer ausgebauten Schnellstraße mit erlaubtem Tempo 100 (plus 10 Prozent natürlich!). Aber auch dort gab es tolle Aussichten und lang gezogene Kurven, die richtig Spaß machten.
Dann ging es ab Utiel auf die N322, an deren Ende mein heutiges Ziel liegen sollte. Bailén liegt sozusagen am Schnittpunkt: den schnellsten Weg in Richtung Tarifa oder doch einen Abstecher über Granada und Malaga?
Bis dahin verlangte mir die N322 aber noch jede Menge ab. Seit Albacete, wo ich am frühen Nachmittag eintraf, begann die Temperatur unaufhörlich zu steigen. Als Spitzenwert zeigte das Thermometer im Cockpit trotz Fahrtwind über 44 Grad an.
Die Straße wechselte mehrmals zwischen sterbenslangweilig (kilometerlang schnurgeradeaus) und abwechslungsreich (weite Kurven durch schattige Täler).
Mittlerweile war ich zum 100-Km-Tanken gewechselt. Ich brauchte alle 100 Km eine eisgekühlte Dose Cola, Selters oder Energy-Drink. Die Honda bekam natürlich auch etwas ab…
In Alcaraz bestiegen wir gemeinsam eine Burg, offenbar nahm das Navi den Gefühlsausbruch der Horizontjägerin jedoch übel!
Dort auf der ehemaligen Festungsmauer, hoch über der Landschaft, war zumindest ein laues Lüftchen zu spüren!
Von Süden her näherte sich zwischenzeitlich ein heftiges Gewitter, dem wir jedoch knapp entkamen.
Und dann kamen wir um 17:30 Uhr in Bailén an. Ich hatte überhaupt keine Lust mehr weiterzufahren, das Wasser stand sprichwörtlich in den Stiefeln und wir fanden auch sofort ein günstiges Hostel. An der Rezeption wurde ich jedoch mit „Complete“ empfangen, ebenso im gegenüberliegenden Hotel.
Also Navi, wie sieht es aus? Campingplatz? In 45 Kilometern?! Nein danke! Also Hotel/Hostal, weit weg von der Autobahn (dort ist es meist günstiger). Sieh da, ein Hotel in knapp 20 Kilometern bei Andújar?. Das kriegen wir hin!
Und jetzt eine kleine Anmerkung: gestern hatte mich das Navi ja richtig in die Wüste geschickt. Daher überprüfte ich beim Start nochmals die Touren-Optionen. Und siehe da: unbefestigte Strassen konnte man auch „disabeln“, also vermeiden! Also galt für heute: optimale Route, ohne Autobahn, ohne unbefestigte Strassen.
Aber offenbar hatte das Navi mit der Horizontjägerin noch eine Rechnung offen.
Zunächst ging es flott heraus aus Bailén, in Richtung Westen. Dann führte der Weg über befestigte Strassen in die Weinberge. Okay, das Navi kennt den Weg. Es ging rauf und runter, links und rechts, aber eigentlich hatte ich gar keine Lust mehr. Dann kamen wir an einen Stausee und ich war von dem Panorama begeistert. Es ging über die Staumauer, den Berg steil rauf und hinter der Linkskurve… standen wir in einem Schlauch. Sprich: die Strasse war maximal zwei Meter breit und… unbefestigt!
An Wenden war gar nicht zu denken. Also weiter, unbefestigte Strassen dürfen ja gar nicht kommen, dies ist ja nur ein kurzes Stück… vielleicht ein Erdrutsch oder so? Und weil ich an diesem Gedanken knapp 20 Minuten festhielt, fuhr ich weiter.
Ich hatte längst den Zeitpunkt für das Umdrehen verpasst, aus der unbefestigten Strasse wurde eine richtige Geröllpiste. Große Steine wechselten sich mit tiefem Sand ab. Das Navi erzählte mir dabei immer wieder „Jetzt links abbiegen“ oder „In drei Kilometern geradeaus!“. Aber hier gab es nichts! Keine Abzweigung, keine Kreuzung. Der Strassenverlauf wurde jedoch sauber mit allen Kurven angezeigt!! Wenn ich den erwische, der diese Karte eingelesen und klassifiziert hat!!!
Irgendwann hatte ich die Helmkamera eingeschaltet und laufen lassen. Wer diesen Film jemals sehen wird… Die Flüche und Schreie („Hier kann man nicht abbiegen, Du blödes Ding!!!“), das bin immer ich 🙂
Im nächsten Augenblick stand ich plötzlich vor einem richtigen Rudel Hirsche. Ja genau, die mit dem Geweih! So allmählich bekam die Situation etwas Unwirkliches. In der nächsten halben Stunde sah ich mindestens dreißig bis vierzig (wie sagt man?) Stück (?) Rotwild. Rehe, Rehkitze und Hirsche (ja, genau, noch immer mit Geweih!). Dumm nur, dass ich alle Hände für die Maschine brauchte, so entstand nur ein Foto. „Wenn ich mich hier jetzt hinpacke…“ wurde für fast eine Stunde zu meinem Mantra.
Klitschnass (wörtlich!) bog ich dann irgendwann um einen Kurve und stand vor einem Landrover. Daneben fünf „Daktaris“ mit Ferngläsern! Auf meine Frage, ob jemand Englisch könne, nickten alle wie selbstverständlich und so erfuhr ich, dass meine Qual in knapp vier Kilometern beendet sei!
Und dann fragte mich der „Anführer“ (er sah besonders nach „Daktari“ aus!), ob ich denn „stags“ gesehen hätte. Dabei machte er mit den Fingern ein Geweih nach. Ich antwortete „Yes, indeed, i saw many oft them, i can’t count them“ und zeigte auf den Weg hinter mir. Der Chef-Daktari grinste, meinte zu den anderen, der Motorradfahrer hätte sicher nur „deers“ gesehen und wünschte mir noch einen sicheren Weg. Und ich solle langsam fahren…
Also okay, mein Englisch ist nicht perfekt. Rehe von Hirschen kann ich jedoch schon unterscheiden. Aber wer nicht will, der hat wohl keine Lust auf diese Geröllpiste. Und das kann ich wiederum gut verstehen.
Irgendwann endete dieser Irrfahrt und dort sah ich es dann: ich war durch einen Nationalpark gefahren. Aber offenbar hatte ich einen unbeschilderten Hintereingang benutzt.
Wir kamen dann auch zu dem Hotel, es handelte sich um eine Luxus-Appartement-Anlage (Los Pinos) am Rande dieses Nationalparks (mit täglichen Landrover-Führungen…). Das war nicht unsere Preisklasse. Also ab zum nächsten Ort und dort habe ich dann völlig ausgetrocknet und durchgeschwitzt vor dem 3-Sterne-Hotel „Del Val“ angehalten. Ein Zimmer, eine Nacht, kein Frühstück.
Gegenüber hatte ich schon McDonalds (Frühstück!) gesehen. Und das Restaurant „La Abuela“, in dem ich jetzt sitze. Eine große Portion Calamares mit Salat, Brot, Oliven und „Gruß aus der Küche“ für fünf Euro lassen den Schreck über die Hotelrechnung wieder etwas vergessen. Es ist aber immer noch billiger als das IBIS-Budget in Carcassonne.
Und jetzt haue ich mich gleich hin und dann werde ich morgen entscheiden, wie es weitergeht!
Der Weg der „Leiden“
Nachtrag: Ich habe die Karte zuhause mit schnellem Internet nachgetragen. Wer also eine richtige Enduro besitzt (oder Geländewagen?) und zufällig hier einmal vorbeikommt, der sollte sich den Bereich zwischen den Wegpunkten JV-5041 und JH-5002 (Karte aufzoomen!) auf keinen Fall entgehen lassen! Nur bitte nicht vergessen: dies ist ein Naturpark mit wirklich großem Wildbestand. Kein Geländeparcour für Wettrennen! Ein entsprechendes Fahrverhalten sollte selbstverständlich sein.
Viel Spaß!
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Das blöde bei den spannenden Stories: steckst Du mittendrin, dann denkst Du an alles. Aber nicht daran, dass es spannend ist. Im Blick zurück gibt es garantiert noch so manchen Abend, wo die Geschichte immer toller wird und man selber völlig souverän mit der Situation klarkommt. Schau’n mer mal 🙂
Bereits heute kann ich darüber grinsen, aber gestern…?
Gratuliere zu der spannenden Story…. die Temperatur ist der Ausgleich für Norwegen! So macht Motorradabenteuer Spaß. .. Jetzt nur noch den kleinen Rest und dann die Rückfahrt! Genieße jeden Kilometer! ….